Andrea Kirstätter | Expertin für Führung im Gesundheitswesen | Coach, Beraterin, Mediatorin

Frauen in Führungspositionen in der Gesundheitswirtschaft

28.03.2023

Leitungsfunktionen und Entscheidungsverantwortung

Pflege- und Sozialberufe sind in Deutschland nach wie vor frauendominiert. Frauen in Deutschland entscheiden sich häufiger für die Bereiche Gesundheit und Sozialwesen als in anderen europäischen Ländern. Dagegen ist ihr Anteil in Führungspositionen im internationalen Vergleich generell unterrepräsentiert, auch im Pflege und Sozialwesen. 

Woran kann dies liegen? 

Persönlich bin ich überzeugt, dass stereotype Rollenzuweisungen dafür verantwortlich sind. So gehören Erziehung und Pflege zum klassischen Aufgabenfeld von Frauen. Jedoch ist zu beobachten, dass sich momentan ein Wandel anbahnt. War in den 1970-er oder 80-er Jahren die Führungsebene in der Pflege vorwiegend weiblich, gibt es heute mehr männliche Pflegedienstleitungen und Pflegedirektoren. Genauer betrachtet zeigt sich, dass im mittleren Management in Kliniken mehr Frauen zu finden sind als im Topmanagement. Auch Vorstände im Gesundheitswesen sind zu einem hohen Prozentsatz männlich. Sicherlich, es gibt bei Männern weniger Unterbrechungen und weniger längere Auszeiten durch Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen, auch arbeiten mehr als 50% der Frauen in Teilzeit. 

Wer ursprünglich den Beruf „Pflege“ auswählte, wollte versorgen, fürsorgen und helfen, nicht administrieren und verwalten. 

Pflege bedeutet Fürsorge und helfen Führung bedeutet managen, leiten und ansagen 

Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Berufsbilder. 

Häufig höre ich den Satz: „Ich habe Pflege gelernt, jetzt habe ich immer mehr Verwaltung zu machen. Das möchte ich eigentlich nicht und in einer Leitungsposition wird das noch mehr“.Führung hat mit Management und Administration zu tun, nicht mit der Pflege von Menschen. Häufig möchten Frauen keine Leitungsposition übernehmen da sie sich dies nicht zutrauen. Oft sind es Einstellungen und Glaubenssätze, die Frauen von Führungspositionen abhalten, z. B. ein hohes Harmoniebedürfnis, die Scheu oder Angst vor Konflikten, der Gerechtigkeitssinn etc. 

Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte? 

Wenn Menschen und ihre Umwelt der sicheren Überzeugung sind, dass die erbrachten Leistungen selbstverständlich sind – also „nichts Besonderes“, gibt es keinen Grund, sich diese Leistungen oder Tätigkeiten zu merken. Denn Selbstverständliches ist nur wenig oder gar nichts wert. Die Konsequenz ist, die persönliche Leistung des einzelnen wird vergessen, weil das ökonomisch funktionierende Gehirn sich nur das merkt, was wichtig genug gewesen ist. Jedoch gerade die Familienzeit, Pflege in der Familie, Ehrenamt und Hobby bergen enorme Chancen/Potenziale welche sich gezielt im Beruf einsetzen lassen und nicht vergessen werden dürfen. Somit sind genau diese Kompetenzen (oftmals die belächelten Auszeiten) ein enormer Gewinn für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In der Familienzeit (Erziehung der Kinder, Pflege in der Familie, Ehrenamt und Hobby) entwickeln und erweitern Menschen ihre persönlichen Kompetenzen – die FAMILIENKOMPETENZEN. Wirtschaftspsychologin Dr. Marianne Vollmer hat im Rahmen ihrer Untersuchungen herausgearbeitet, wie berufsbezogene Anforderungen entstehen und eine Methode entwickelt, diese Anforderungen zu messen. Messen bedeutet „vergleichen“. Mit einem ausgewählten Methodenrepertoire hat sie die Anforderungen im familiären Umfeld, in Haushalt und Familie (die Familienkompetenzen) gemessen. 

Familienkompetenzen = Managementkompetenzen 

Laut Vollmer können beide Kompetenzen abgebildet und gemessen werden. Sie hat 10 Verhaltensdimensionen erkannt:

  • 1. Unternehmensbezogenes (familienbezogenes) Denken und Handeln 
  • 2. Planung, Koordination, Kontrolle 
  • 3. Komplexes Problemlöseverhalten 
  • 4. Entscheidungsverhalten 
  • 5. Kommunikationsaspekte / Kontaktfähigkeit 
  • 6. Integration / Konfliktverhalten 
  • 7. Delegation und Führung 
  • 8. Persönliche Kompetenz und Selbstbeauftragung
  • 9. Pädagogische Kompetenz 
  • 10. Belastbarkeit 
In einer vergleichenden Studie wurden Familienkompetenzen und arbeitsplatzbezogene Kernkompetenzen

Die berufsbezogenen Anforderungen „Kontaktfähigkeit, Belastbarkeit, Feinfühligkeit, Teamfähigkeit, Zielerreichung und Entscheidungsfindung“ gibt es, wie das obige Schaubild zeigt, ähnliche Ausprägungen zwischen Hausfrauen und Managern. So gesehen ist es empfehlenswert, das Arbeitsfeld „Haushalt und Familie“ als Trainingsfeld auch als Managementaufgaben anzusehen. 

Es wäre bedauerlich, viele dieser wertvollen und nützlichen Ressourcen durch nicht Betrachten zu verschwenden. 

Hier ein Beispiel aus einem meiner Workshops für angehende Führungskräfte: 

Eine Intensivfachschwester, welche von Ihrem Sektionsleiter geschickt wurde, sass ziemlich demotiviert im Workshop. Sie sagte, sie wisse nicht was sie in dem Kurs solle und habe eigentlich gar keine Zeit dafür, da sie auf Station so viel Arbeit hätten. Außerdem sei Führung sei nichts für sie. In der Mittagspause berichtete sie mir, dass sie Mutter von Zwillingen (9 Jahre) sei, in ihrer Freizeit ehrenamtliche Handballtrainerin für Kinder. Voller Begeisterung schilderte sie ihr Tätigkeitsfeld. Sie berichtete, was es ihr bedeutet, Trainerin für Kinder zu sein, das Spannungsfeld mit den Eltern auszuhalten, die logistische Herausforderung, die Kinder zu Turnieren zu bringen. Auf meine Frage, ob sie das im Beruf auch so machen könne, war sie zunächst etwas irritiert. Im Workshop suchten wir Parallelen und stellten fest, dass es eine hohe Übereinstimmung gibt. Sie war begeistert dass der Sektionsleiter Kompetenzen bei ihr erkannt hatte, die sie selbst nicht gesehen hatte. 

Führungskräfte entdecken 

An dieser Stelle möchte ich Einrichtungen zur Kreativität auffordern. Mögliche Lösungsansätze können zum Beispiel sein: 

  • Informationsveranstaltungen von Frauen für Frauen
  • Praxisberichte und Fallbeschreibungen (Was motiviert Frauen zur Führung, Welche Möglichkeiten gibt es)

Musterstellenbeschreibungen für unterschiedliche Leitungspositionen können hilfreich sein und Sicherheit geben was erwartet wird. Wichtig ist ein weibliches Wording, motivierend, ansprechend und mehrwertvermittelnd. Herauszustellen ist der Mehrwert, den die Führungskraft durch die neue Position bekommt: 

  • mehr Patientenzufriedenheit durch gute Führung
  • höheres Patientenwohl durch motivierte Mitarbeitende
  • das Einsetzen für verbesserte Arbeitsbedingungen, zum Beispiel bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie
  • mehr Zufriedenheit der Kollegen = erhöhte Zufriedenheit bei den Patienten
  • Mentorenprogramme können Unsicherheiten minimieren und mehr Selbstbewusstsein schaffen 

Weitere Möglichkeiten können sein: 

  • Intern werden geeignete Mitarbeiterinnen von Vorgesetzten proaktiv direkt auf das Thema Führung und Leitung angesprochen und ihnen eine konkrete Leitungsposition vorgeschlagen, quasi ein „internes“ (Frauen-)förderprogramm.
  • Auf Pflegekongressen, in Fachzeitschriften oder in Netzwerken wird über vorhandenes Frauenförderprogramm berichtet, um so für „Frauen in die Führung“ zu werben.
  • Workshops speziell für Frauen mit Themen wie „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ oder auch die „Integration von Familienkompetenzen im beruflichen Alltag“. Erste Ansätze hier gibt es bereits und sind sehr ermutigend.
  • Individuelles Coaching zur Vorbereitung auf die Position 

Ich habe schon einige Gesundheits- und Krankenpflegerinnen erfolgreich in ihre neuen Position begleitet. Häufig trauen sich die Frauen anfangs „führen, lenken und leiten“ noch nicht zu, gewinnen jedoch durch ein gezieltes Coaching schnell an Selbstbewusstsein und füllen die Position souverän und hervorragend aus. 
An dieser Stelle möchte ich das städtische Klinikum in Karlsruhe als Beispiel erwähnen, welches in sein Qualifizierungsprogramm das Thema „Führungskompetenzen für Einsteiger“ aufgenommen hat. So können Mitarbeiter/Innen (interne und externe) kennenlernen, welche neuen Fähigkeiten von ihnen als Führungskraft erwartet werden. Dieses Qualifizierungsprogramm, welches von mir durchgeführt wird, bereitet gezielt auf den Rollenwechsel von der Fachkraft zur Führungskraft vor. Es schafft die Grundlage für ein (selbst-) bewusstes Führungsverhalten und es fördert die Entscheidungsfähigkeit „ist Führung etwas für mich“. An 3 x 2 Tagen erfahren Mitarbeitende aus dem pflegerischen, dem ärztlichen und nicht medizinischen Bereich etwas zu „Führung und Führungspersönlichkeit“, über „Kommunikation als Führungsaufgabe“ und den „Umgang mit Konflikten“. An ganz konkreten Beispielen aus dem Arbeitsalltag werden Führungsfähigkeiten ausprobiert und reflektiert. Nach diesem Qualifizierungsprogramm ist es den Teilnehmenden leichter möglich, eine Entscheidung zu treffen. Das Qualifizierungsprogramm wird intern und extern gut angenommen und ist ausgebucht was bedeutet, dass der Bedarf vorhanden ist. Übrigens - bereits während der Seminarphase haben 2 der teilnehmenden Frauen eine Führungsposition übernommen, 5 sich für eine Führungsaufgabe bereiterklärt, 2 waren noch unentschlossen. (4 der Teilnehmenden waren Männer wovon 1 eine Führungsposition übernommen hat und 3 eine Leitungsposition annehmen werden). 

Fallbeispiel 

Eine Pflegedirektorin suchte händeringend nach einer Leitung für den Kreißsaal. Die leitende Hebamme ist in den Ruhestand gegangen und eine leitende Hebamme konnte nicht gefunden werden, weder intern noch extern, die Teilschließung des Kreißsaals stand im Raum. Der leitende Oberarzt machte der Pflegedirektorin den Vorschlag, eine in seinen Augen geeignete Hebamme als Leitung zu ernennen. Frau R. wurde gefragt, hatte jedoch viele Bedenken, Unsicherheiten und Befürchtungen. Wie würde das Team dies aufnehmen? -Warum „die“ und nicht ich – „Die“ ist jetzt was besseres – Von „der" lassen wir uns nichts sagen – Was wird die Familie dazu meinen? - Wie schaffe ich das mit meinen Kindern? - … Die Pflegedirektorin machte ihr den Vorschlag, ein Coaching in Anspruch zu nehmen, zunächst einmal, um eine Entscheidung zu treffen. Danach übernahm Frau R. die Leitungsposition für 1 Jahr kommissarisch. Frau R. sollte Führungsinstrumente lernen und ihr Führungsverhalten reflektieren. Wir arbeiteten an ihrem Führungsprofil, ihren persönlichen Führungsstrategien und an der Kommunikation. Frau R. wurde immer souveräner in Führungsentscheidungen, entwickelte mit ihrem Team gute Ideen, um den Kreißsaal weiterzuentwickeln. Nach diesem Jahr übernahm Frau R. die Leitung des Kreißsaals und ist sehr zufrieden mit ihrer neuen Position. Das Spannungsfeld Beruf und Familie nimmt sie sehr herausfordernd wahr, jedoch hat sie gelernt, alle mit einzubinden und auch Aufgaben abzugeben. Auch bei den Mitarbeitenden, Kollegen und Ärzten ist sie sehr angesehen. 

Wir brauchen innovative Führungskonzepte, die vereinbar sind, mit der Familie Es erscheint mir wichtig, dass sich mehr Frauen für den „Zweit-Beruf“ „FÜHRUNG“ entscheiden. Da Führung nichts mit dem Ursprungsberuf der Pflege zu tun hat, ist dies nur möglich, wenn Einstellungen verändert werden. Neue Sichtweisen und Perspektiven müssen eingenommen werden, weg vom Klischeedenken hin zu kreativen und umsetzbaren Modellen. Die Meinung von vielen Menschen ist, Führung bedeutet 150% bei einer 100% Stelle zu arbeiten und zu geben. Hierfür wird jemand benötigt, der einem den Rücken freihält. Dafür bedarf es Unterstützung. Möchte Frau das überhaupt? —- Jedoch ist das wirklich so? Ist es denkbar, neue Wege zu gehen mit innovativen Führungskonzepten, die vereinbar sind mit dem Privatleben? 

Wir brauchen innovative Führungskonzepte, die vereinbar sind mit der Familie 

Es erscheint mir wichtig, dass sich mehr Frauen für den „Zweit-Beruf“ „FÜHRUNG“ entscheiden. Da Führung nichts mit dem Ursprungsberuf der Pflege zu tun hat, ist dies nur möglich, wenn Einstellungen verändert werden. Neue Sichtweisen und Perspektiven müssen eingenommen werden, weg vom Klischeedenken hin zu kreativen und umsetzbaren Modellen. Die Meinung von vielen Menschen ist, Führung bedeutet 150% bei einer 100% Stelle zu arbeiten und zu geben. Hierfür wird jemand benötigt, der einem den Rücken freihält. Dafür bedarf es Unterstützung. Möchte Frau das überhaupt? —- Jedoch ist das wirklich so? Ist es denkbar, neue Wege zu gehen mit innovativen Führungskonzepten, die vereinbar sind mit dem Privatleben? 

Lösungsansatz Führung in Teilzeit 

Ein möglicher Ansatz, welcher häufig kritisch betrachtet wird, kann „Führen in Teilzeit“ sein. Es gibt bereits einige Modelle, welche sich in der Praxis bewährt haben. Die Umsetzung im Alltag kann vielfältig sein und sollte keine standardisierten Ansätze haben. Was wäre wenn Frauen zu 50% Pflege und 50% Leitung machen könnten? 

Erfahrungsaustausch für (weibliche) Führungskräfte 

Es ist wichtig, dass sich die Führungskräfte in Teilzeit ob der Umsetzungsmöglichkeiten austauschen. Hierfür eignen sich Peergruppen, um eigene Erfahrungen einzubringen und aus den unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten anderer zu lernen und mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu bekommen. Von den Ergebnissen kann eine gesamte Einrichtung profitieren, denn die erarbeiteten maßgeschneiderten Lösungen können auf andere Mitarbeitende und Berufsgruppen übertragen werden. Um solche Peergruppen zu leiten, empfehle ich einen externen Moderator oder Business Coach, welcher in der Methode der „Kollegialen Coaching Konferenz ®“ ausgebildet ist. Um von anderen Modellen und den Erfahrungen anderer Führungskräfte zu lernen, sind hier einige Themen für ein Peergruppen-Treffen aufgeführt: 

  • Die Analyse von unterschiedlichen Erwartungen der Führungskräfte
  • Der Austausch über unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten und Arbeitszeitmodelle.
  • Die Kommunikation und exakte Absprachen mit Vorgesetzten, Stellvertretenden, Mitarbeitenden, Ärzten, … Familie, etc.
  • Die Reflexion eigener Interessen, Bedürfnisse und Ansprüche
  • Die Anpassung und Verteilung von Arbeitsvolumen und Aufgaben an die Arbeitszeit
  • Das Delegieren von Aufgaben an die Mitarbeitenden.

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