28.03.2023
Leitungsfunktionen und Entscheidungsverantwortung
Pflege- und Sozialberufe sind in Deutschland nach wie vor frauendominiert. Frauen in Deutschland entscheiden sich häufiger für die Bereiche Gesundheit und Sozialwesen als in anderen europäischen Ländern. Dagegen ist ihr Anteil in Führungspositionen im internationalen Vergleich generell unterrepräsentiert, auch im Pflege und Sozialwesen.
Persönlich bin ich überzeugt, dass stereotype Rollenzuweisungen dafür verantwortlich sind. So gehören Erziehung und Pflege zum klassischen Aufgabenfeld von Frauen. Jedoch ist zu beobachten, dass sich momentan ein Wandel anbahnt. War in den 1970-er oder 80-er Jahren die Führungsebene in der Pflege vorwiegend weiblich, gibt es heute mehr männliche Pflegedienstleitungen und Pflegedirektoren. Genauer betrachtet zeigt sich, dass im mittleren Management in Kliniken mehr Frauen zu finden sind als im Topmanagement. Auch Vorstände im Gesundheitswesen sind zu einem hohen Prozentsatz männlich. Sicherlich, es gibt bei Männern weniger Unterbrechungen und weniger längere Auszeiten durch Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen, auch arbeiten mehr als 50% der Frauen in Teilzeit.
Wer ursprünglich den Beruf „Pflege“ auswählte, wollte versorgen, fürsorgen und helfen, nicht administrieren und verwalten.
Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Berufsbilder.
Häufig höre ich den Satz: „Ich habe Pflege gelernt, jetzt habe ich immer mehr Verwaltung zu machen. Das möchte ich eigentlich nicht und in einer Leitungsposition wird das noch mehr“.Führung hat mit Management und Administration zu tun, nicht mit der Pflege von Menschen. Häufig möchten Frauen keine Leitungsposition übernehmen da sie sich dies nicht zutrauen. Oft sind es Einstellungen und Glaubenssätze, die Frauen von Führungspositionen abhalten, z. B. ein hohes Harmoniebedürfnis, die Scheu oder Angst vor Konflikten, der Gerechtigkeitssinn etc.
Wenn Menschen und ihre Umwelt der sicheren Überzeugung sind, dass die erbrachten Leistungen selbstverständlich sind – also „nichts Besonderes“, gibt es keinen Grund, sich diese Leistungen oder Tätigkeiten zu merken. Denn Selbstverständliches ist nur wenig oder gar nichts wert. Die Konsequenz ist, die persönliche Leistung des einzelnen wird vergessen, weil das ökonomisch funktionierende Gehirn sich nur das merkt, was wichtig genug gewesen ist. Jedoch gerade die Familienzeit, Pflege in der Familie, Ehrenamt und Hobby bergen enorme Chancen/Potenziale welche sich gezielt im Beruf einsetzen lassen und nicht vergessen werden dürfen. Somit sind genau diese Kompetenzen (oftmals die belächelten Auszeiten) ein enormer Gewinn für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In der Familienzeit (Erziehung der Kinder, Pflege in der Familie, Ehrenamt und Hobby) entwickeln und erweitern Menschen ihre persönlichen Kompetenzen – die FAMILIENKOMPETENZEN. Wirtschaftspsychologin Dr. Marianne Vollmer hat im Rahmen ihrer Untersuchungen herausgearbeitet, wie berufsbezogene Anforderungen entstehen und eine Methode entwickelt, diese Anforderungen zu messen. Messen bedeutet „vergleichen“. Mit einem ausgewählten Methodenrepertoire hat sie die Anforderungen im familiären Umfeld, in Haushalt und Familie (die Familienkompetenzen) gemessen.
Laut Vollmer können beide Kompetenzen abgebildet und gemessen werden. Sie hat 10 Verhaltensdimensionen erkannt:
Die berufsbezogenen Anforderungen „Kontaktfähigkeit, Belastbarkeit, Feinfühligkeit, Teamfähigkeit, Zielerreichung und Entscheidungsfindung“ gibt es, wie das obige Schaubild zeigt, ähnliche Ausprägungen zwischen Hausfrauen und Managern. So gesehen ist es empfehlenswert, das Arbeitsfeld „Haushalt und Familie“ als Trainingsfeld auch als Managementaufgaben anzusehen.
Es wäre bedauerlich, viele dieser wertvollen und nützlichen Ressourcen durch nicht Betrachten zu verschwenden.
Hier ein Beispiel aus einem meiner Workshops für angehende Führungskräfte:
Eine Intensivfachschwester, welche von Ihrem Sektionsleiter geschickt wurde, sass ziemlich demotiviert im Workshop. Sie sagte, sie wisse nicht was sie in dem Kurs solle und habe eigentlich gar keine Zeit dafür, da sie auf Station so viel Arbeit hätten. Außerdem sei Führung sei nichts für sie. In der Mittagspause berichtete sie mir, dass sie Mutter von Zwillingen (9 Jahre) sei, in ihrer Freizeit ehrenamtliche Handballtrainerin für Kinder. Voller Begeisterung schilderte sie ihr Tätigkeitsfeld. Sie berichtete, was es ihr bedeutet, Trainerin für Kinder zu sein, das Spannungsfeld mit den Eltern auszuhalten, die logistische Herausforderung, die Kinder zu Turnieren zu bringen. Auf meine Frage, ob sie das im Beruf auch so machen könne, war sie zunächst etwas irritiert. Im Workshop suchten wir Parallelen und stellten fest, dass es eine hohe Übereinstimmung gibt. Sie war begeistert dass der Sektionsleiter Kompetenzen bei ihr erkannt hatte, die sie selbst nicht gesehen hatte.
An dieser Stelle möchte ich Einrichtungen zur Kreativität auffordern. Mögliche Lösungsansätze können zum Beispiel sein:
Musterstellenbeschreibungen für unterschiedliche Leitungspositionen können hilfreich sein und Sicherheit geben was erwartet wird. Wichtig ist ein weibliches Wording, motivierend, ansprechend und mehrwertvermittelnd. Herauszustellen ist der Mehrwert, den die Führungskraft durch die neue Position bekommt:
Ich habe schon einige Gesundheits- und Krankenpflegerinnen erfolgreich in ihre neuen Position begleitet. Häufig trauen sich die Frauen anfangs „führen, lenken und leiten“ noch nicht zu, gewinnen jedoch durch ein gezieltes Coaching schnell an Selbstbewusstsein und füllen die Position souverän und hervorragend aus.
An dieser Stelle möchte ich das städtische Klinikum in Karlsruhe als Beispiel erwähnen, welches in sein Qualifizierungsprogramm das Thema „Führungskompetenzen für Einsteiger“ aufgenommen hat. So können Mitarbeiter/Innen (interne und externe) kennenlernen, welche neuen Fähigkeiten von ihnen als Führungskraft erwartet werden. Dieses Qualifizierungsprogramm, welches von mir durchgeführt wird, bereitet gezielt auf den Rollenwechsel von der Fachkraft zur Führungskraft vor. Es schafft die Grundlage für ein (selbst-) bewusstes Führungsverhalten und es fördert die Entscheidungsfähigkeit „ist Führung etwas für mich“. An 3 x 2 Tagen erfahren Mitarbeitende aus dem pflegerischen, dem ärztlichen und nicht medizinischen Bereich etwas zu „Führung und Führungspersönlichkeit“, über „Kommunikation als Führungsaufgabe“ und den „Umgang mit Konflikten“. An ganz konkreten Beispielen aus dem Arbeitsalltag werden Führungsfähigkeiten ausprobiert und reflektiert. Nach diesem Qualifizierungsprogramm ist es den Teilnehmenden leichter möglich, eine Entscheidung zu treffen. Das Qualifizierungsprogramm wird intern und extern gut angenommen und ist ausgebucht was bedeutet, dass der Bedarf vorhanden ist. Übrigens - bereits während der Seminarphase haben 2 der teilnehmenden Frauen eine Führungsposition übernommen, 5 sich für eine Führungsaufgabe bereiterklärt, 2 waren noch unentschlossen. (4 der Teilnehmenden waren Männer wovon 1 eine Führungsposition übernommen hat und 3 eine Leitungsposition annehmen werden).
Eine Pflegedirektorin suchte händeringend nach einer Leitung für den Kreißsaal. Die leitende Hebamme ist in den Ruhestand gegangen und eine leitende Hebamme konnte nicht gefunden werden, weder intern noch extern, die Teilschließung des Kreißsaals stand im Raum. Der leitende Oberarzt machte der Pflegedirektorin den Vorschlag, eine in seinen Augen geeignete Hebamme als Leitung zu ernennen. Frau R. wurde gefragt, hatte jedoch viele Bedenken, Unsicherheiten und Befürchtungen. Wie würde das Team dies aufnehmen? -Warum „die“ und nicht ich – „Die“ ist jetzt was besseres – Von „der" lassen wir uns nichts sagen – Was wird die Familie dazu meinen? - Wie schaffe ich das mit meinen Kindern? - … Die Pflegedirektorin machte ihr den Vorschlag, ein Coaching in Anspruch zu nehmen, zunächst einmal, um eine Entscheidung zu treffen. Danach übernahm Frau R. die Leitungsposition für 1 Jahr kommissarisch. Frau R. sollte Führungsinstrumente lernen und ihr Führungsverhalten reflektieren. Wir arbeiteten an ihrem Führungsprofil, ihren persönlichen Führungsstrategien und an der Kommunikation. Frau R. wurde immer souveräner in Führungsentscheidungen, entwickelte mit ihrem Team gute Ideen, um den Kreißsaal weiterzuentwickeln. Nach diesem Jahr übernahm Frau R. die Leitung des Kreißsaals und ist sehr zufrieden mit ihrer neuen Position. Das Spannungsfeld Beruf und Familie nimmt sie sehr herausfordernd wahr, jedoch hat sie gelernt, alle mit einzubinden und auch Aufgaben abzugeben. Auch bei den Mitarbeitenden, Kollegen und Ärzten ist sie sehr angesehen.
Wir brauchen innovative Führungskonzepte, die vereinbar sind, mit der Familie Es erscheint mir wichtig, dass sich mehr Frauen für den „Zweit-Beruf“ „FÜHRUNG“ entscheiden. Da Führung nichts mit dem Ursprungsberuf der Pflege zu tun hat, ist dies nur möglich, wenn Einstellungen verändert werden. Neue Sichtweisen und Perspektiven müssen eingenommen werden, weg vom Klischeedenken hin zu kreativen und umsetzbaren Modellen. Die Meinung von vielen Menschen ist, Führung bedeutet 150% bei einer 100% Stelle zu arbeiten und zu geben. Hierfür wird jemand benötigt, der einem den Rücken freihält. Dafür bedarf es Unterstützung. Möchte Frau das überhaupt? —- Jedoch ist das wirklich so? Ist es denkbar, neue Wege zu gehen mit innovativen Führungskonzepten, die vereinbar sind mit dem Privatleben?
Es erscheint mir wichtig, dass sich mehr Frauen für den „Zweit-Beruf“ „FÜHRUNG“ entscheiden. Da Führung nichts mit dem Ursprungsberuf der Pflege zu tun hat, ist dies nur möglich, wenn Einstellungen verändert werden. Neue Sichtweisen und Perspektiven müssen eingenommen werden, weg vom Klischeedenken hin zu kreativen und umsetzbaren Modellen. Die Meinung von vielen Menschen ist, Führung bedeutet 150% bei einer 100% Stelle zu arbeiten und zu geben. Hierfür wird jemand benötigt, der einem den Rücken freihält. Dafür bedarf es Unterstützung. Möchte Frau das überhaupt? —- Jedoch ist das wirklich so? Ist es denkbar, neue Wege zu gehen mit innovativen Führungskonzepten, die vereinbar sind mit dem Privatleben?
Ein möglicher Ansatz, welcher häufig kritisch betrachtet wird, kann „Führen in Teilzeit“ sein. Es gibt bereits einige Modelle, welche sich in der Praxis bewährt haben. Die Umsetzung im Alltag kann vielfältig sein und sollte keine standardisierten Ansätze haben. Was wäre wenn Frauen zu 50% Pflege und 50% Leitung machen könnten?
Es ist wichtig, dass sich die Führungskräfte in Teilzeit ob der Umsetzungsmöglichkeiten austauschen. Hierfür eignen sich Peergruppen, um eigene Erfahrungen einzubringen und aus den unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten anderer zu lernen und mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu bekommen. Von den Ergebnissen kann eine gesamte Einrichtung profitieren, denn die erarbeiteten maßgeschneiderten Lösungen können auf andere Mitarbeitende und Berufsgruppen übertragen werden. Um solche Peergruppen zu leiten, empfehle ich einen externen Moderator oder Business Coach, welcher in der Methode der „Kollegialen Coaching Konferenz ®“ ausgebildet ist. Um von anderen Modellen und den Erfahrungen anderer Führungskräfte zu lernen, sind hier einige Themen für ein Peergruppen-Treffen aufgeführt: